Dr.-Ing. Arno Kühn über die Stärken digitaler Maßnahmen in Krisenzeiten
Die Corona-Pandemie beeinträchtigt das Leben und Arbeiten in Deutschland seit Monaten stark. Die Unternehmen im Land – ob Konzern oder KMU – mussten sich in kürzester Zeit auf die Ausnahmesituation einstellen. Wie der Weg durch die Krise gelingen kann und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt, erklärt Dr.-Ing. Arno Kühn, Abteilungsleiter Strategische Produkt- und Unternehmensgestaltung am Fraunhofer IEM, im Interview.
Die Corona-Pandemie stellt auch die Wirtschaft seit Monaten vor große Herausforderungen. Wie haben Unternehmen auf diese Situation reagiert?
Arno Kühn: Der klassische Weg verläuft in solchen Ausnahmesituationen in drei Schritten: Zuerst kommt das Krisenmanagement mit dem Ziel der Schadensbegrenzung. Dann folgt die Bestandsaufnahme: Was bedeutet die Pandemie mittel- bis langfristig für unser Geschäft und die tägliche Arbeit? Diese Überlegungen führen zum nächsten Schritt: Der Frage nach den Chancen, die sich neben den Herausforderungen ergeben und genutzt werden sollten. In dieser dritten Phase befinden sich viele Unternehmen aktuell. Das ist zumindest mein Eindruck.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in einer solchen Zeit, in der persönliche Kontakte minimiert und gängige Arbeitsabläufe neu gedacht werden müssen?
Arno Kühn: Eine sehr große. Die Digitalisierung kann in Teilen ausgleichen, was Corona einschränkt. Beispiel Home-Office und interne Kommunikation: Insbesondere die ersten Wochen der Pandemie waren ja von den Überlegungen bestimmt, wie Mitarbeitende geschützt und Arbeitsabläufe dennoch aufrechterhalten werden können. Für viele war die virtuelle Zusammenarbeit Neuland. Inzwischen kenne ich kein Unternehmen, bei dem sich das nicht etabliert hat.
Also war Corona für interne Besprechungen sowie die Kunden-Kommunikation quasi ein Digitalisierungsturbo?
Arno Kühn: Das kann man so sehen. Digitale Techniken und Tools können Grenzen überbrücken, die Corona der Zusammenarbeit setzt. Die Digitalisierung wird zurzeit generell stark vorangetrieben – nicht nur in Bezug auf die interne Kommunikation und Zusammenarbeit. Auch am Markt tut sich unheimlich viel. Zum Beispiel im Bereich Remote Service. Vor Corona haben einige Unternehmen viel in Condition Monitoring und Fernwartung investiert – abgerufen wurden diese Services aber verhältnismäßig wenig. Die persönliche Wartung vor Ort war mehr gefragt. Das ist jetzt anders. Die Investitionen zahlen sich nun aus. Gleichzeitig entwickelt sich die Toollandschaft extrem schnell weiter. Durch die verstärkte Nutzung der Angebote wie zum Beispiel Teams oder Zoom fällt auf, was noch fehlt, welche Features es noch braucht.
Stehen Unternehmen aufgrund dieser Entwicklung auch der Digitalisierung ihrer Prozesse offener gegenüber?
Arno Kühn: Zumindest können Vorbehalte gegen die Digitalisierung durch diese situationsbedingt erzwungenen Maßnahmen abgebaut werden. Aber Digitalisierung hat sehr viele Facetten und betrifft nicht allein die digitale Zusammenarbeit und Kommunikation.
Wenn es um die Digitalisierung von Prozessen, Produkten und Services geht, kann die Corona-Pandemie die Entwicklung auch ausbremsen. Schließlich kostet die Etablierung neuer Technologien und Prozesse Zeit und natürlich auch Geld. Angesichts der aktuellen Situation halten sich manche Unternehmen mit Investitionen zurück. Andere hingegen setzen gerade jetzt auf die Digitalisierung. Ganz nach dem Motto: Ohne effizientere Prozesse können wir zukünftig nicht weiter am Markt bestehen.
Das Fraunhofer IEM begleitet zahlreiche Unternehmen auf ihrem Weg ins digitale Zeitalter. Wie sieht diese Unterstützung in Corona-Zeiten aus?
Arno Kühn: Wir begleiten die Unternehmen weiterhin bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategie. Natürlich setzen auch wir die operative Arbeit verstärkt digital um. So haben wir die Projektarbeit größtenteils digitalisiert, Workshops und Besprechungen finden virtuell statt. Das hat sich mittlerweile eingespielt und funktioniert sehr gut. Erfreulich ist auch, dass keines der Unternehmen, mit denen wir zurzeit zusammenarbeiten, seine Digitalisierungsprojekte abgebrochen hat. Alle verfolgen die Maßnahmen mit dem Ziel weiter, diese auch erfolgreich abzuschließen. Ein zukunftsweisendes Gemeinschaftsprojekt ist zum Beispiel der ServiceNavigator, an dem mit der GEA Group, der G. KRAFT Maschinenbau GmbH und der WP Kemper GmbH gleich drei Maschinenbauer beteiligt sind.
Worum geht es bei diesem Projekt?
Arno Kühn: Entstanden ist das Projekt im Rahmen des Makeathon „HorizonteOWL“ des it´s OWL Clustermanagements. Bei diesem Ideenwettbewerb hat sich die Lösung des ServiceNavigators durchgesetzt, die unter anderem auch von Mitarbeitenden des Fraunhofer IEM entwickelt wurde. Mit einem Startkapital von einer Million Euro des Landes NRW geht das Projekt jetzt in die Umsetzung gebracht. Der ServiceNavigator ist ein Tool zur Fehlerdiagnose und -behebung für Maschinen und Anlagen. Es geht also verstärkt um den Bereich Remote Services, der aktuell stark an Bedeutung gewinnt. Ziel ist es, Ausfallzeiten zu verringern, Stillstände zu vermeiden und die Anlagendokumentation digital und dezentral verfügbar zu machen.