Das Fraunhofer IEM entwirft eine Simulationsplattform für die Forschungsvereinigung Antriebstechnik
Vom Haushaltsgerät über das Elektroauto hin zum Einsatz im Maschinen- und Anlagenbau: Elektrische Antriebssysteme sind heute wesentliche Grundlage für eine Vielzahl von Anwendungen. Bei ihrer Entwicklung greifen verschiedene Fachgebiete wie die Mechanik oder Thermodynamik ineinander – ein sehr komplexer Prozess, der mithilfe von Simulationen deutlich vereinfacht wird. Seit 2018 arbeitet das Fraunhofer IEM für die Forschungsvereinigung Antriebstechnik (FVA) an einer Simulationsplattform speziell für elektrische Antriebssysteme.
Anwender sollen darüber künftig systemübergreifend Teilmodelle aufbauen und ihr geplantes Antriebssystem ohne hohe Lizenzkosten modellieren können. Zusammen mit den Projektpartnern (Mitgliedsunternehmen der FVA), dem Institut für Antriebssysteme und Leistungselektronik (IAL) der Leibniz Universität Hannover und der FVA GmbH, arbeitet das Fraunhofer IEM jetzt an der Implementierung der Plattform, der sogenannten E-Workbench. Meik Ehlert, Wissenschaftler am Fraunhofer IEM, beantwortet uns die wichtigsten Fragen.
Herr Ehlert, seit April 2018 arbeitet das Fraunhofer IEM am FVA-Forschungsprojekt „Simulationsmodelle für elektrische Antriebstechnik“. Im April 2020 zog das Projektteam eine erfolgreiche Zwischenbilanz und startete in eine zweite Projektphase. Was ist das übergeordnete Ziel des Vorhabens?
Wir erarbeiten eine einfach zu bedienende Simulationsplattform für elektrische Antriebssysteme für die Mitglieder der Forschungsvereinigung Antriebstechnik. Nach der bereits verfügbaren FVA-Workbench für mechanische Systeme entsteht somit eine E-Workbench explizit für elektrische Antriebsstränge. Sie bietet künftig die Möglichkeit, ein elektrisches Antriebssystem aus systemübergreifenden Teilmodellen aufzubauen und zu simulieren. Wichtig dabei ist uns die einfache, pragmatische Anwendung: Aus verschiedenen kommerziellen Tools können Unternehmen benötigte Teilmodelle in die E-Workbench integrieren und miteinander verschalten. Dabei greifen sie auf eine große Wissensbasis aus Forschungsergebnissen von FVA-Projekten zurück, die in der E-Workbench archiviert und gewartet werden. Anwender profitieren auch, weil sie keine hohen Lizenzkosten für kommerzielle Modellierungstools zahlen müssen.
Warum ist die systemübergreifende Simulation in der elektronischen Antriebstechnik so wichtig?
Die Herausforderung unserer Arbeit liegt darin, eine domänenübergreifende Systemsimulation zu ermöglichen. Wie üblich für mechatronische Systeme, werden auch elektrische Antriebssysteme von weiteren Domänen beeinflusst. Dazu zählen insbesondere die Mechanik und Thermodynamik. Hier entwickelt kein Fachexperte mehr allein, sondern im Austausch mit anderen Disziplinen, Sprachen und auch Modellen. Die Krux: Für jedes Fachgebiet existieren eigene kommerzielle Simulationstools auf dem Markt, die in einer dieser Domänen spezialisiert sind. Für unsere E-Workbench arbeiten wir deshalb an einer systemübergreifenden Modellkopplung und Simulation. Dabei exportieren wir die Teilmodelle aus ihren ursprünglichen Tools und importieren sie in die E-Workbench.
Das Projekt befindet sich seit April in einer zweiten Phase. Was ist bisher passiert?
Zunächst haben wir die Grundlagen für eine systemübergreifende Simulation erarbeitet und in einem ersten Prototyp der E-Workbench festgehalten. Um das Systemverhalten über die Zeit zu ermitteln, lag der Fokus auf der dynamischen Zeitschrittsimulation, also der Simulation von verschiedenen Zuständen in einem Abstand von wenigen Sekunden bis hin zu einigen Minuten. Um die toolübergreifende Modellkopplung zu realisieren, entschieden wir uns für den FMI-Standard, der die größte Toolunterstützung bietet und die E-Workbench für einen großen Anwenderkreis öffnet. Auf der Basis des FMI-Standards haben wir dann eine Schnittstellendefinition erarbeitet, die eine effiziente numerische Simulation ermöglichen soll. Im Rahmen der ersten Projektphase konnten wir außerdem einige Innovationspotenziale für die Simulationsplattform identifizieren. Dazu gehört etwa eine automatisierte Modellkopplung, die die Systemsimulation für den Nutzer vereinfachen soll. Das heißt er konfiguriert sein Antriebssystem künftig nach dem Baukastenprinzip, ohne mathematische Signalflüsse manuell verschalten zu müssen. Außerdem bietet es sich an, neben den dynamischen Zeitschrittsimulationen auch statische Berechnungen in der E-Workbench zu ermöglichen. Damit können weitere wichtige Parameter für die anschließende Simulation berechnet werden.
Welche Themen bestimmen die zweite Projektphase? Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Grob gesagt: Wir setzen unser Konzept der E-Workbench nun Schritt für Schritt um. Zum Projektende im September 2021 soll die Simulationsplattform allen FVA-Mitgliedern zur Verfügung stehen. Das Fraunhofer IEM fokussiert sich derzeit auf die Konzeptentwicklung der automatisierten Modellkopplung. Ziel ist es, beliebige Modelle aus verschiedenen Simulationstools mit der definierten Schnittstellendefinition verschalten zu können. Parallel führen wir in unserem projektbegleitenden Ausschuss eine Umfrage zu den statischen Berechnungsfunktionen durch. So wollen wir ermitteln, welche Funktionen unsere späteren Anwender als besonders wichtig erachten und wie diese an die Zeitschrittsimulation anknüpfen müssen. Wichtig für uns Wissenschaftler ist dabei die Mitarbeit unserer Industriepartner – so stellen wir eine hohe Praxistauglichkeit unserer Lösung sicher.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zum FVA-Forschungsprojekt „Simulationsmodelle für elektrische Antriebstechnik“
Das Projekt „Simulationsmodelle für elektrische Antriebstechnik“ wird von der Forschungsvereinigung Antriebstechnik FVA von April 2018 bis September 2021 mit insgesamt 788.000 Euro gefördert und auch koordiniert. Projektpartner sind das Fraunhofer IEM, das Institut für Antriebssysteme und Leistungselektronik (IAL) der Leibniz Universität Hannover, die FVA GmbH, und Mitgliedsfirmen der FVA
Mehr zum Forschungsprojekt: Simulationsmodelle für die elektrische Antriebstechnik
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