Bessere Produkte durch intelligente Datennutzung
Sie wollen auch künftig erfolgreich Produkte entwickeln und dabei komplexe Herausforderungen wie CO2-Bilanzen und Lieferketten beherrschen? Dann lohnt sich ein Blick auf die Chancen von Künstlicher Intelligenz im Engineering. Mit Wago, Claas, Jürgenhake und Nissan zeigen wir, warum die Technologie eine neue Phase in der Geschichte der Entwicklungsarbeit einläutet – und deutliche Effizienzsteigerungen verspricht.
Ob Geschäftsidee, Produktdesign und Material, Produktionsplanung oder Markteinführung: Ingenieure und Produktmanagerinnen treffen in ihrer Arbeit weitreichende Entscheidungen mit Auswirkungen auf den gesamten Produktlebenszyklus. Was wäre, wenn eine Künstliche Intelligenz
- in wenigen Augenblicken das Marktpotenzial einer neuen Geschäftsidee bewertet?
- bei der Entwicklung einer neuen Produktgeneration – über Fehlerquellen und Nutzerverhalten der Vorgängergeneration informiert?
- aus der Vielzahl an Gestaltungs- und Materialmöglichkeiten für ein Bauteil die beste Möglichkeit heraussucht?
Informationen aus Daten – Erfolgsfaktor für das Engineering
KI liefert Entwickler:innen auf diese erfolgsentscheidenden Fragen künftig zuverlässig Antworten. Die Grundlage dafür sind Daten, die in Zeiten der Digitalisierung und Industrie 4.0 überall anfallen: Durch den Einsatz disziplinübergreifender Entwicklungsmethoden, der zunehmenden Tool-Unterstützung und einem ganzheitlichen digitalen Managen von Produktdaten und Produktlebenszyklus entsteht ein Teil dieses Datenschatzes im Engineering selbst. Aber auch Produktion und Betrieb, Kunden und Zulieferer sind wertvolle Datenlieferanten auf dem Weg zu besseren und nachhaltigeren Produkten. Durch das intelligente Sammeln, Analysieren und Bewerten von Daten verschafft KI Ingenieur:nnen einen Wissensvorsprung und macht bisher Undenkbares möglich.
So macht KI Produkte besser
Auf dem Weg von der Geschäftsidee zum Produktionssystem schafft der Einsatz von KI viele Möglichkeiten. In der Strategischen Produktplanung übernehmen KI-Anwendungen künftig Aufgaben wie Technologievorausschau oder Markt- und Wettbewerbsanalysen. Bereits stark verbreitet ist das Optimieren vorhandener Produktionssysteme durch das Auswerten von Sensordaten und Methoden des maschinellen Lernens. KI hat die Möglichkeit, auch die Dienstleistungsentwicklung zu optimieren, etwa durch Tests und die Validierung von Dienstleistungsideen.
Am Fraunhofer IEM erforschen wir in spannenden Pilotprojekten, wie Künstliche Intelligenz Ingenieur:nnen in ihrer Entwicklungsarbeit konkret helfen kann. Potenziale ergeben sich über den gesamten Produktlebenszyklus – bis hinein in die disziplinspezifische Entwicklung.
Wago: Anforderungserhebung durch datenbasiertes Produktmanagement
Produktmanager:innen bei Wago sind bereits in der sehr frühen Produktentstehung tätig. Sie analysieren zum Beispiel den Markt, definieren die Produktstrategie und die Produktanforderungen. Die Informationen, die sie dafür benötigen, erhalten sie aus unterschiedlichen, häufig unstrukturierten Quellen. Im it’s OWL-Projekt product.intelligence baut Wago mit dem Fraunhofer IEM ein datenbasiertes Produktmanagement auf – mit dem Ziel der Tool-basierten Anforderungserhebung. Durch die intelligente Auswertung verschiedener Daten, z.B. dem Nutzerverhalten im Online-Produktkonfigurator Smart Designer, aber auch externer Daten aus Social Media und Suchmaschinen, erhalten Produktmanager:innen so wichtige Informationen, um Marktleistungen wie den Onlinekonfigurator den Kundenbedürfnissen noch besser anzupassen.
Claas: Komponentenauswahl durch intelligentes Gleichteilemanagement
Der Landmaschinenhersteller Claas möchte Bauteile verschiedener Produktserien klug wiederverwenden, um so Herstell-, Entwicklungs- und Lagerkosten einzusparen. Die enorme Produktkomplexität und Variantenvielfalt macht die Suche nach Gleich- und Ähnlichteilen jedoch zu einer großen Herausforderung. Im BMWK-Projekt KI-Marktplatz entwickeln Claas und das Fraunhofer IEM ein intelligentes Gleichteilemanagement. Eine Wissensdatenbank erfasst Geometrien und Funktionen sämtlicher CAD-Modelle. KI-Verfahren wie das Case Based Reasoning (CBR) erkennen dann, ob es für den jeweiligen Entwicklungsauftrag bereits passende Bauteile im Unternehmen gibt.
Jürgenhake: Systementwurf durch genetische Algorithmen
Die Technologie MID (Molded Interconnect Devices) setzt auf 3D-gedruckte Schaltungsträger – und eröffnet damit ganz neue Designmöglichkeiten für Intelligente Technische Systeme. Die Entwicklung von MID ist jedoch sehr aufwendig. Im BMBF-Projekt GoProMID arbeitet das Fraunhofer IEM mit dem Kabelkonfektionär Jürgenhake daran, aufwendige MID-Bauteile mittels Künstlicher Intelligenz automatisiert zu entwickeln. Zum Einsatz kommen sogenannte genetische Algorithmen, die sich an der biologischen Evolution orientieren und eine Vielzahl an Lösungsalternativen erzeugen. Mittels „Fitness“ können die Entwickler:innen dann automatisiert Vorschläge für die Designoptionen auswählen, so dass das geplante Bauteil am besten an seine künftige Aufgabe angepasst.
Nissan: Testfallanalyse durch intelligentes Assistenzsystem
Zusammen mit Nissan hat das Fraunhofer IEM ein intelligente Assistenzsystem für die Systemspezifikation entwickelt. Es liefert den Ingenieur:innen Erfahrungswerte zum ausgewählten Bauteil und zeigt potenzielle Fehler auf. Grundlage ist die intelligente Aufbereitung von Daten aus vorherigen Entwicklungsprojekten, aus Testergebnissen und Fehlerberichten. Verfahren Künstlicher Intelligenz, wie das Natural Language Processing, interpretieren diese Daten und übersetzen sie in eine Graphdatenbank. Anschließend werden die Daten miteinander verbunden, gewichtet, analysiert und für die Produktentwicklung nutzbar gemacht. Auf diese Weise steigert Nissan die Effizienz in der Produktentstehung und unterstützt seine Mitarbeiter:innen bei ihrer Tätigkeit.
Aktiv werden und Kompetenzen aufbauen
Die Potenziale von Künstlicher Intelligenz für die Produktentstehung – in den meisten Unternehmen schlummern sie noch: Im Jahr 2019 befragte die Beratung PwC 200 Industrieunternehmen zum digitalen Reifegrad ihrer Produktentwicklung. 41 % nutzten Datenanalysen und Künstliche Intelligenz zumindest teilweise. Allerdings verwendeten nur 5 % die Technologie umfassend, etwa zur Prozess- und Qualitätsoptimierung oder zur Validierung von Produkten und Services.
Mögliche Erklärung: KI-Lösungen gibt es nicht vom Reißbrett. Anwendungen müssen individuell aufs Unternehmen zugeschnitten werden. Und ihr wirtschaftlicher Nutzen durch höhere Produktqualität oder schnellere Prozesse lässt sich erst auf lange Sicht nachweisen.
Erfolgsfaktor, um die Chancen von KI im Engineering zu nutzen, ist da zum einen der eigene Kompetenzaufbau. Betriebe sollten also in die Datenkompetenz ihrer Entwicklungsteams investieren. Gleichzeitig gewinnen auch Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit und Systemdenken an Bedeutung, um die Komplexitäten der KI-Lösungen zu beherrschen. Von Grundlagen des Systems Engineering, über Product Lifecycle Management hin zu Data Analytics praktisch umsetzen steht ihnen am Fraunhofer IEM ein breites Schulungsangebot zur Verfügung. [zur IEM Academy] Zum anderen lohnt es sich, in kleinen Schritten und planen und vorzugehen: Überschaubare Pilotprojekte schaffen verständliche Use Cases mit Vorbildfunktion – und helfen dabei, Belegschaft und Unternehmenskultur für das Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz fit zu machen.
Kooperieren im KI-Markplatz
Kooperation ist eine weitere wichtige Säule, um KI im Engineering erfolgreich einzusetzen. Vom Einstieg bis zu Umsetzung bietet etwa das Forschungsprojekt KI-Marktplatz viele Möglichkeiten: Anwender:innen, Anbieter:innen und Expert:innen für KI können sich hier austauschen, Produkte platzieren und nach Lösungen und Partnern für eigene KI-Anwendungen suchen. Der Austausch im KI-Marktplatz zeigt: Die Nachfrage nach Use Cases und Lösungspartnern für KI in der Produktentstehung ist groß. Um die erfolgreiche Plattform nach Projektende weiterentwickeln zu können, wurde im Sommer 2022 die AI Marketplace GmbH gegründet.